19.12.2022 - Unternehmen
WELT am Sonntag Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2022
Die Papierindustrie hat gewaltige Energiekosten, ein Düsseldorfer Hersteller ging schon insolvent. Bei WEPA setzt man trotz dieser Herausforderungen auf neue Verfahren und Rohstoffe
Von Heinz Krischer
Die derzeitige Energiekrise zwingt Unternehmen zu Sparanstrengungen, wie es sie noch nie gegeben hat. Hart getroffen ist auch die NRW-Papierindustrie, die besonders viel Wärme und damit Gas und Strom benötigt. Vor wenigen Wochen war der Düsseldorfer Hygienepapier-Hersteller Hakle gezwungen, Insolvenz anzumelden. Nach Angaben des Unternehmens waren die explodierenden Energiekosten ausschlaggebend. Das Industrieland Nordrhein-Westfalen ist einer der wichtigsten Standorte der deutschen Papierindustrie. Mehr als 7000 Menschen in rund 30 Betrieben produzieren hier Papier, Karton und Pappe für Industrie, Handel, Verwaltung und privaten Konsum. Kleine und mittlere, oft familiengeführte Unternehmen gehören dabei ebenso zum Branchenmix wie große Standorte internationaler Konzerne; alteingesessene Traditionsunternehmen ebenso wie erst vor wenigen Jahren angesiedelte Fabriken. Die NRW-Papierhersteller erwirtschafteten zuletzt einen Umsatz von rund 2,3 Milliarden Euro. Vorsitzender des Verbandes ist Martin Krengel, Chef des Familienunternehmens WEPA SE in Arnsberg. Dort ist man überzeugt, rechtzeitig auf die neue Situation reagiert zu haben. "Aufgrund der starken Energiepreissteigerungen waren Preisanpassungen für unsere Produkte unumgänglich", sagt der Vorstandsvorsitzende. "Hierzu haben wir mit unseren Partnern im Handel sehr transparent kommuniziert." Heißt: Man einigte sich auf höhere Preise. Das soll es der Firma möglich machen, weiter Innovationen für nachhaltigere Produkte wie geplant umzusetzen. Dass man sich angesichts der Energiekrise von wichtigen Zielen, etwa beim Klimaschutz, notgedrungen verabschieden müsse, glaubt man bei WEPA nicht. Wie viel Energie die Papierherstellung benötigt, zeigt sich beim Rundgang durch die Fabrikhalle in Arnsberg-Müschede. Hier ist es ist laut und heiß. Eine haushohe dampfende Maschine produziert aus einem matschigen Faserbrei auf großen Walzen Hygienepapier. Hier verdampft enorm viel Energie - aber genau das ist nötig, um das nasse Ausgangsmaterial mit viel Hitze zu trocknen, zu glätten und riesige Rollen von Papier daraus herzustellen. Dennoch haben sich die Arnsberger einiges vorgenommen. Bis 2030 wollen sie den CO₂-Ausstoß um 52 Prozent reduzieren, bis 2040 sogar klimaneutral werden. Schon in drei Jahren will WEPA alle Frischfasern aus zertifizierten ökologischen Quellen beziehen. Wer die Nachhaltigkeitsberichte des Unternehmens liest, sieht, dass bereits in den vergangenen Jahren einiges geschehe
Neue Recycling-Methoden
So werden seit einigen Monaten im Arnsberger Werk ziemlich außergewöhnliche Papierhandtücher produziert - nämlich zu einem erheblichen Teil aus gebrauchten Papierhandtüchern. Die wurden bislang fast überall als Abfall in der Müllverbrennung entsorgt. Denn es ist nicht einfach, sie erneut für die Produktion von Recyclingpapier zu nutzen. Prozessingenieur Coskun Akbaba hat mit seinem Team jedoch einen Weg gefunden, sie aufzuarbeiten und wieder in den Produktionsprozess einzubinden. "Wir sind ziemlich stolz darauf, dass wir solch ein schönes Produkt jetzt daraus fertigen können", sagt Akbaba, als er eines der Handtuchpapiere vom Transportband nimmt. Nötig sind dafür neue Produktionsprozesse, aber auch eine spezielle Logistik musste aufgebaut werden. Dafür wurden mit Verwaltungen, Schulen und Industrieunternehmen Partnerschaften geschlossen. Ein Transportunternehmen holt die Container mit den gebrauchten Papierhandtüchern dort ab. Im Müscheder Werk wird das gebrauchte Handtuchpapier eingeweicht und auf den heißen Papiermaschinen verarbeitet, um dann wiederum zu neuem Handtuchpapier gefaltet und geschnitten zu werden. In dieser Form geht es dann zurück in die Waschräume der Partner. "Eine perfekte Kreislaufwirtschaft", sagt Patrick Schumacher, Geschäftsführer der Sparte WEPA Professional. Allein in Westfalen wurden in den vergangenen Monaten bereits mehr als neun Tonnen Handtuchpapier eingesammelt und - absolut hygienisch - zu neuen Papierhandtüchern aufgearbeitet. So wird Müll vermieden, werden CO₂, Wasser und andere Ressourcen eingespart. "Wir wollen das Kreislaufkonzept auf viele weitere Regionen ausdehnen", kündigt Schumacher an. Um Ressourcen zu sparen, wird auch an Alternativen für die Frischfasern gearbeitet. Die sind auch bei manchen Recyclingprodukten noch nötig, um die Qualität zu erhöhen. Diese Zellulosefasern stammen heute vor allem aus Holz. Seit ein paar Wochen setzt WEPA in seinem niederländischen Werk jedoch eine Alternative ein: Miscanthus, auch Elefantengras genannt, soll den Einsatz der Holzfasern in der Produktion ergänzen. "Diese Pflanze wird nur einmal gepflanzt und kann über 20 Jahre geerntet werden", schwärmt Schumacher. "Beim Wachstum kommen keine Pestizide zum Einsatz, keine Düngemittel. Es braucht keine künstliche Bewässerung, die Pflanze kann hier in Europa angepflanzt werden - und das Gras bindet viermal so viel CO₂ wie eine herkömmliche Waldfläche." Demnächst soll diese nachhaltige Faser auch in der Produktion in Arnsberg eingesetzt werden, wenn denn alles planmäßig läuft. Denn rund ein Drittel der Produktionskosten sind mittlerweile Energiekosten. "Der Preis für Gas ist gegenüber Normalniveau zeitweise um das Zehnfache gestiegen", rechnet Vorstandschef Martin Krengel vor. Das führte dazu, dass die Papiermaschinen an den deutschen, niederländischen und italienischen Standorten zeitweise abgestellt werden mussten - auch die Werke in NRW waren betroffen.
Dampf aus Reststoffen
"Natürlich werden wir weiter in Sachen Nachhaltigkeit vorangehen", stellt Krengel klar. "Als Familienunternehmen denken wir langfristig und sind davon überzeugt, dass Innovationen unerlässlich sind, um zukunftsfähig zu bleiben." Dann jedoch kommt ein "Aber": "Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass man bei einem Anhalten der aktuellen Energiekosten-Situation und ohne Gegenmaßnahmen immer mehr die Flexibilität verliert, in wichtige Transformationsprojekte für die Zukunft investieren zu können." Denn die Papierindustrie ist kapitalintensiv, neue Maschinen erfordern zum Teil Investitionen von mehreren hundert Millionen Euro. Um weiterhin ausreichend Spielraum zur Entwicklung nachhaltiger Produkte und Konzepte zu haben, sei es wichtig, dass die Energiepreise ein verkraftbares Niveau nicht überschritten, sagt Krengel, ohne Zahlen zu nennen. Grundsätzlich werde es auch im kommenden Jahr für die Industrie und den Wirtschaftsstandort "herausfordernd" bleiben. Um zumindest etwas unabhängiger von Energie-Einkäufen zu sein, wurde am Werk in Marsberg ein neues Kraftwerk gebaut, das aus Reststoffen 85 Prozent des Dampfverbrauchs vor Ort produziert. In Lucca in Italien wurde eine riesige Fotovoltaik-Anlage in Betrieb genommen. Und weitere Projekt sollen folgen - wenn die Energiesituation diese Investitionen zulässt.