27.01.2023 - Presse Unternehmen
Veröffentlichung in der Lebensmittel Zeitung vom 27.01.2023
Pandemie und Krieg haben die Tissue-Branche durchgeschüttelt. Martin Krengel, das Familienoberhaupt des Handelsmarkenherstellers Wepa, bleibt trotz allem ruhig und erfindet sich in den letzten Jahren seiner Karriere noch einmal neu.
Martin Krengel war einst drauf und dran, professioneller Fußball-Torwart zu werden. Wer ihn heute sieht, kann sich gut vorstellen, dass der Wepa-Vorsitzende bereits in jungen Jahren große Ruhe ausstrahlte und seinen Vorderleuten ein sicherer Rückhalt war. Nur das verrückte, egozentrische Element, das vielen Torleuten nachgesagt wird, fehlt ihm – oder er kann es gut verbergen. Wenn er mit seiner vertrauenerweckenden Stimme und seiner gleichzeitig unverwechselbaren Klarheit über die Geschehnisse im Handel spricht, beweist er Spielverständnis. Fußballprofi ist er zwar nicht geworden, dafür aber einer der einflussreichsten Profis in der Welt der Hygienepapiere. Das Spiel der großen und kleinen Rollen beherrscht er wie kaum ein Zweiter.
„König des Toilettenpapiers“
Wie einst zwischen den Pfosten agiert der 1957 geborene Sauerländer in der Arnsberger Firmenzentrale der Westfälischen Papierfabrik (Wepa) seit nunmehr 37 Jahren. 1990 wurde er Mitglied der Geschäftsführung, 2001 berief ihn die Familie zum Vorsitzenden und Sprecher der Geschäftsführung. Das Familienunternehmen ist seither zum größten Tissue-Hersteller in Deutschland und der Nummer Drei in Europa aufgestiegen.
Seit 1985, damals trat Krengel in die Firma seines Vater ein, hat er unweigerlich Tag für Tag mit vielen Rollen zu tun. Das gilt bei ihm gleich im doppelten Sinne: 2022 etwa dürfte Krengel die Rolle des Kapitäns auf hoher See eingenommen haben. Die Kosten stiegen rasant, Lieferprobleme und Corona sorgten immer wieder für unvorhersehbaren Wellengang. Teilweise so sehr, dass Maschinen abgestellt werden mussten. Mit Beginn des Krieges in der Ukraine und der folgenden Inflation war der Sturm perfekt. Krengel gesteht im Gespräch mit der LZ: „Wir sind der Welle immer hinterhergelaufen“. Wichtig, auch für sein Selbstvertrauen, sei gewesen, dass „Wepa stabil dastand, um die Bugwellen zu überbrücken“ – ganz die Worte eines Kapitäns.
Viele Jahre lang war die Geschichte Wepas und somit auch die Krengels eine Erfolgsgeschichte. Seit den 90er- Jahren profitierte der Handelsmarkenhersteller von der Expansion der deutschen Discounter. Mittlerweile verfügt der Konzern über fünf Fabriken in Deutschland, 13 europaweit. Der Höhepunkt, zumindest in der Außenwahrnehmung, war der Beginn der Corona-Pandemie. Als „König des Toilettenpapiers“ bezeichneten die Medien Martin Krengel. Als wichtigen Lieferanten einer Ware, die im Frühjahr 2020 zum Symbolbild wurde. Corona brachte Wepa Aufmerksamkeit. Und mehr als einmal in die Bredouille. Die Herausforderung der vergangenen drei Jahre seien mit nichts vergleichbar, das er in den mehr als 30 Jahren im Unternehmen vorher erlebt habe, sagt Krengel. Seit Beginn der Pandemie ist nichts, aber auch rein gar nichts in der gesamten Tissue-Produktionskette mehr so, wie es einmal war. Alles, was vorher geplant, geradlinig, berechenbar war – vorbei. Mit dem Hype ums Toilettenpapier passierte nach Krengels Worten „das Schlimmste“, was im Handel passieren konnte: in den normalerweise üppig gefüllten Regalen herrschte gähnende Leere. Die einsetzende, nicht zu kontrollierende Volatilität auf den Rohstoffmärkten trieb die Toilettenpapierpreise in bis dato unbekannte Höhen.
Ungewollter Rekordumsatz
Was Corona alles mit sich brachte, war damals noch nicht absehbar. „Viele der Auswirkungen kommen jetzt erst verzögert bei uns an“, sagt er. Mehr noch als in vielen anderen Branchen haben im Tissue-Geschäft Effizienz und ein reibungsloser Ablauf oberste Priorität. Zu wenig werthaltig ist das einzelne Produkt, als dass etwas verschenkt werden könnte. Das Tissue-Geschäft ist auf den ersten Blick ein einfaches: Zellstoff, Energie und Personal sind die drei zentralen und eigentlich auch einzigen Kostenpunkte in der Herstellung von Toilettenpapier, Küchenrollen oder Taschentüchern. Gestörte Lieferketten führten jedoch zu Zellstoffmangel, Corona zu Personalausfällen und der Kriegsbeginn in der Ukraine zu exorbitanten Energiepreisen. Die Folge: Eine Vervielfachung der Kosten und Abgabepreise sowie ein Umsatzrekord der Wepa SE, der für vieles sorgte, aber sicherlich nicht für Freudensprünge. Erlöse in Höhe von 1,6 Milliarden Euro. Fast 25 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr, bei leicht sinkendem Absatz. Für Krengel ist „die Steigerung ein rein inflationärer Effekt“. Das Ergebnis habe sich nicht verbessert – „ganz im Gegenteil“. Die Branche habe „Kostenexplosionen“ erlebt und Wepa habe genau wie die Konkurrenz nur zeitversetzt Preiserhöhungen umsetzen können.
Wepa steckt in den wohl herausforderndsten Zeiten in der Unternehmensgeschichte. Das verlangt dem erfahrenen Manager viel ab. Plötzlich muss er ganz neue Rollen annehmen, sowohl im eigenen Unternehmen als auch nach außen. Viele Jahre hielt Krengel sich mit deutlichen Aussagen in der Öffentlichkeit zurück, pflegte über den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Friedrich Merz gute Drähte in die Politik, kümmerte sich aber primär um seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mittlerweile ist er zum Sprachrohr geworden. „Die Zeit seit Corona hat viel mit uns allen gemacht“, erklärt er. „Uns“, das sind für ihn der Handel, die Mitarbeitenden und er selbst.
Forderungen an den Handel
Als nahezu wöchentlich Preisdiskussionen stattfanden, forderte er gleitende Preise im Handel. Ungeliebte Preisgleitklauseln gab es nach LZ-Informationen zwar vereinzelt, flächendeckend konnte sich die Forderung aber nicht durchsetzen. Deswegen fordert er diese weiterhin und sagt, „bei der aktuell hohen Volatilität braucht es gemeinsame Lösungen“. Die besonderen wirtschaftlichen Herausforderungen, die Energiekrise, die Corona-Pandemie, Lieferkettenunterbrechungen und die Inflation hätten zu Veränderungen in der Zusammenarbeit mit dem Handel geführt. Mit ihm unterhält Wepa ein jahrelanges „vertrauensvolles Verhältnis“, wie der Wepa-CEO nicht müde wird zu betonen. „Harte Gespräche“ seien Teil dieser Partnerschaft. Und in den vergangenen Jahren habe es viele solcher Gespräche gegeben. Aber: „Persönlich finde ich, dass es heute mehr Verständnis füreinander gibt.“ Wer Krengel kennt, weiß, er ist Diplomat. Deswegen sagt er auch: „Wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft. Regulierung allein schafft keine Lösungen. Die müssen gemeinsam erarbeitet werden.“
Auch die Politik müsse Unternehmen weiterhin unterstützen. Was sonst passieren könnte, zeige die Hakle-Insolvenz. Es sollten „gemeinsame Rahmenbedingungen und Lösungen gefunden werden, um die Attraktivität des Industriestandorts Deutschland zu bewahren“. Kurz vor Weihnachten forderte der Jurist offen eine Nachbesserung bei der Energiepreisbremse, die nach wie vor heiß in der Branche diskutiert wird.
Bei all dem Trubel ist ihm bewusst, dass die vergangenen Jahre auch den eigenen etwa 4 000 Mitarbeitern viel abverlangt haben. „Liebe und nette Worte allein reichen nicht“, sagt Krengel in seiner Rolle als Vorsitzender des tarifpolitischen Ausschusses des Verbands „die Papierindustrie“. In einer kürzlich abgeschlossenen Tarifrunde haben die Parteien seiner Ansicht nach „einen guten Tarifabschluss in dieser herausfordernden Situation gefunden“. Über 24 Monate verteilt erhalten die Mitarbeiter demnach 3 000 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei. Für Auszubildende wurden insgesamt 1 200 Euro zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise vereinbart. Zudem wurden die Entgelte zum 1. Januar 2023 um einen Festbetrag von 150 Euro brutto und ab dem 1. April 2024 um zusätzlich 50 Euro brutto erhöht. Dies sei ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung: „Wir haben uns mit den Mitarbeitenden gemeinsam zum Ziel gesetzt, dass wir gestärkt aus der langen anhaltenden Marktkrise hervorgehen.“
Neben all den Krisen- und Manager-Rollen hat Krengel noch eine weitere, ganz zentrale Rolle inne – und das von Anfang an. Als Familienunternehmer trägt er die Verantwortung, die ihm seine Brüder und deren Familien vor vielen Jahren gegeben haben. „Wir haben das Ziel, ein Mehrgenerationen-Familienunternehmen zu sein und zu bleiben“, erklärt er. Dabei lege Wepa Wert darauf, „über Generationen hinweg eine gute Balance zwischen Familien-Unternehmertum und Professionalisierung“ zu erreichen. Sprich, eine gute Mischung aus externer Expertise und Familienmitgliedern in führenden Rollen. Mit Mitte 60 ist entsprechend auch die Nachfolge ein immer größer werdendes Thema im Hause Krengel. Das Thema, sagt Krengel, könne „für Spannungen“ sorgen. „ Deswegen bin ich froh, dass wir das frühzeitig angegangen sind.“ Seine Brüder hätten seinen Sohn Andreas gebeten, „seinen Hut in den Ring zu werfen“.
Nachfolge ist geregelt
Andreas Krengel ist seit 2018 im Unternehmen, seit 2021 im Vorstand und leitet dort seit dem August 2022 die Geschäftsbereiche Professional und New Business Areas. „Damit ist der Nachfolgeprozess strukturiert“, sagt Martin Krengel. Wann genau es zu dem Wechsel kommt, möchte er aber nicht verraten. Im Nachfolgeprozess, so betont er, gehe es nicht darum, dass sein Familienstamm an der Spitze bleibe, „sondern um eine langfristige Zukunft des Unternehmens und den damit einhergehenden Wandel“. Bis zur Übergabe werde Wepa stringent die eigenen Ziele verfolgen, „insbesondere im Sinne der Nachhaltigkeit wollen wir gemeinsam mit unseren Kunden Konzepte für die Endverbraucher erarbeiten“.
Denn auch in Martin Krengels letzten Jahren entwickelt Wepa sich weiter, bleibt dabei aber den eigenen Prinzipien treu. Kürzlich stellte der Recyclingpapier-Spezialist das erste Papier aus alten Verpackungskartons vor. Verpackungskarton ist angesichts der deutlichen Zunahme von Onlinebestellungen in großen Mengen verfügbar. Zudem sei es für Wepa „ein weiterer technischer Fortschritt, eine Faser zu verwenden, die viele Male im Verpackungskreislauf war“, erklärt er. Mit dem neuen Altpapier-Aufbereitungsprozess sei „der Fußabdruck dadurch nochmals deutlich besser“. Während Konkurrenten aus dem Geschäft mit wiederaufbereitetem Papier aussteigen, bekennt sich das Unternehmen klar zu Recycling – vielleicht auch, weil es angesichts der vielen Anlagen und einer fehlenden Zellstoffproduktion daran festhalten muss.
Krengel hat als Vorstandsvorsitzender des größten deutschen Herstellers von Toilettenpapier, Küchenrollen, Taschentüchern, in den vergangenen 37 Jahren viele Rollen bekleidet. Er war Torwart, Kapitän, Politiker, Diplomat, Lautsprecher und Krisenmanager. Bei all diesen Herausforderungen blieb er ruhig. Eine Tugend, die Wepa zu einem der Größten in der Branche gemacht hat. Und mit der Zuversicht und Bodenständigkeit des Sauerländers sagt er: „Es wird nicht übermorgen sein, aber es wird auch wieder normale Zeiten geben."
Quelle: Lebensmittel Zeitung vom 27.01.2023
Autor: Philip Brändlein